WM 2006 Tore ⚽ Pfostenschüsse mit Polyester-Pulver

Die schönste WM aller Zeiten ist zu Ende! Was bleibt, sind die brillant beschichteten Tore der Firma Kothe. Wie Kothe Galvanik die Gehäuse der Firma Löhr für Ronaldinho und Kollegen fit macht

(abu)Die Tore für die Fußball-Weltmeisterschaft werden nicht nur von der „Sportgeräte 2000 GmbH“ in Hildesheim gebaut, sondern auch aufwändig haltbar gemacht – bei der Firma Kothe Galvanik. Für den Traditionsbetrieb ist das Beschichten ein Auftrag für eine Schicht – aber trotzdem etwas ganz Besonderes. Lehmann? Oder doch Kahn?

Zunächst einmal steht im Tor der deutschen Mannschaft der Hildesheimer Klaus Göhring. Mit ausladenden Gesten zeigt er in der Werkhalle von Kothe Galvanik in alle Richtungen: „Da hinten sind die Bäder, hier kommt die Pulver-Beschichtung drauf, da ist der Ofen – und noch heute wird alles fertig!“

Klingt nicht nach Fußball, was der 65-Jährige Inhaber des 200-Mann-Betriebes aus dem Bavenstedter Gewerbegebiet da erklärt. Könnte aber direkter kaum mit dem Kampf ums runde Leder zu tun haben. Denn auch wenn sich kein WM-Team entschließen mochte, für die Zeit der Weltmeisterschaft in der Rosenstadt Quartier zu beziehen – wer irgendwas gewinnen will, muss in eins dieser 36 Tore treffen, die gerade vom am Flugplatz angesiedelten Hersteller „Sportgeräte 2000 GmbH“ von Helmuth E. Löhr zu Kothe Galvanik gebracht wurden.

Hier erleben die Gehäuse eine Behandlung, gegen die ein Pfostenschuss von Ronaldinho oder ein wütender Tritt eines enttäuschten Torhüters wie Streicheleinheiten wirken. Auch die Tore müssen also ins harte „Trainingslager“ – doch das soll sich lohnen. “100 Jahre halten die“, versichern hier vom Firmenchef bis zum Arbeiter alle im Brustton der Überzeugung.

Zum Start gehen die silberfarbenen Aluminium-Gestänge erst einmal baden. In zehn verschiedene Becken taucht die automatische Förder-Einrichtung ihr kostbares gut. Entfettung statt Entmüdung heißt es zum Start, danach folgen unter anderem Beize und Chromatierung, dazu verschiedene Säuren und schließlich entionisiertes Wasser. Ziel der Bäderkur: Es sollen nicht einmal mehr Spuren von Salzen oder Fremdmetallen an Latte und Pfosten hängen bleiben. „Die Vorbehandlung ist nötig, sonst funktioniert das Weitere nicht“, erklärt Produktionschef Heinz-Werner Langfeld.

Froh sind sie bei Kothe, dass sie sich einst für andere Produkte acht Meter lange und drei Meter tiefe Becken in die Halle gebaut haben. „So lange Becken hat kaum einer“, frohlockt Klaus Göhring. Braucht man aber, wie Fußballkenner wissen: 7,32 mal 2,44 Meter misst das Gehäuse. Da auch noch der Teil daran hängt, der später im Spielfeldboden versenkt wird, sind die Tore bei Kothe sogar 2,98 Meter hoch.

Nachdem sozusagen die erste Halbzeit vorbei ist und die Chemie ihre Schuldigkeit getan hat, steht die weitere Behandlung der Tore eher im Physikbuch. Nun werden die Tore geerdet. Gleichzeitig wird staubfeines Polyester-Pulver elektrisch aufgeladen. Das Tor wird auf der Fertigungsstraße in die nächste Anlage gezogen, die Milliarden kleinster Pulverkörnchen auf das Tor abfeuert. Und weil das Gehäuse geerdet ist, das Pulver hingegen geladen, bleibt es im Kraftfeld am Gehäuse haften.

Ganz ohne Menschen geht das allerdings nicht: Denn an den Rückseiten Pfosten und Latte sind zahlreiche Löcher, in denen später das Netz befestigt wird – physikalisch handelt es sich dabei aber um „Faradaysche Käfige“, benannt nach dem englischen Physiker Michael Faraday, der sich wohl auch nicht hätte träumen lassen, einmal im Zusammenhang mit einerFußball-WM genannt zu werden. Über den Hohlräumen würde das elektrisch geladene Polyester-Pulver abgestoßen, ein Mitarbeiter muss es deswegen vorab von Hand auf die entsprechenden Stellen sprühen.

Kommt das Alu-Tor aus der Anlage heraus, ist es jedenweils weiß. Das Pulver nämlich soll dem Tor nicht nur eine viele Jahrzehnte haltbare Oberfläche verleihen, sondern auch die von der FIFA gewünschte fernsehfreundliche Farbe. Noch heute schmunzeln sie bei Kothe Galvanik, dass man für die EM 2000 wie gewünscht alle Tore in knallgelb ablieferte – und die UEFA-Funktionäre die Gehäuse kleinlaut zum Umfärben zurück nach Hildesheim schickten. „Wir haben schon 16000 verschiedene Farben gehabt, kein Problem“, merkt Klaus Göhring dazu an.

Das Tor tritt indes in die letzte Viertelstunde ein. Denn das Pulver hängt zwar nun dank des Kraftfeldes am Gestänge, würde aber beim ersten Pfostenschuss wegen der Erschütterung herunterfallen. Deshalb bereitet Kothe-Galvanik ihm eine heiße Schlussphase: Das Tor wird in einen großen Ofen geschoben und auf 200 Grad „schockerhitzt“, wie die Fachleute das nennen. Dadurch kann das Polyesterpulver „ansintern“ – wenn es wieder aus dem Ofen kommt, sind Pfosten und Latte so glatt, wie man es vom Fußballplatz kennt.

Der Torwart darf nun ruhig vor Wut in den Pfosten beißen – kein Stäubchen Polyester soll er dabei verschlucken. Nachspielzeit: „Im Grunde genommen“, sagt Klaus Göhring, der den Besucher zuvor mit der jugendlichen Begeisterung eines Fußballreporters durch die Werkhalle geführt hatte, „im Grunde genommen ist das für uns ein kleiner Auftrag.“ Die Veredelung von Oberflächen in Flughäfen von Hannover bis Hongkong, auf Luxusschiffen, an Bank- und Messefassaden, bei der Deutschen Bahn und beim Transrapid in Schanghai, Tore auf jedem Dorfsportplatz – das sind die Großprojekte, die bei Kothe den Betrieb in drei Schichten zum Brummen bringen.

Aber die Tore für die WM – „das ist eben so ein Bonbon, wenn man die später im Fernsehen sieht und sagt: Die standen auch mal bei uns in der Halle“, sagt Klaus Göhring. „Viele unserer Mitarbeiter waren oder sind schließlich selbst aktive Fußballer.

36 Tore hat die „Sportgeräte GmbH“ für die WM gebaut und bei Kothe veredeln lassen. Also ein Ersatztor für jedes der zwölf Stadien, damit die Kicker nicht plötzlich dastehen wie bei jenem legendären Europacup-Spiel zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund, als ein Tor plötzlich umfiel und die Fußballwelt fasziniert die verzweifelte Suche der „Königlichen“ nach einem Reservetor verfolgte.

Doch geht es nach Klaus Göhring, werden die Ersatztore nicht gebraucht: „Habe ich Ihnen schon gesagt, dass das 100 Jahre hält?“ Ob im Jahr 2106 noch jemand an Lehmann und Kahn denkt…

Quelle HAZ 29.04.2006

Fotos © Chris Gossmann